„Harnröhrenschlitzung“ ist die umgangssprachliche Bezeichnung für einen Eingriff, den man Urethrotomie nennt. In der Fachliteratur herrscht überwiegend Einigkeit darüber, dass dieser Eingriff als erste therapeutische Maßnahme bei einer kurzen Harnröhrenverengung sinnvoll sein kann, die eine nicht zu starke Vernarbung aufweist. Der Eingriff kann sowohl in Vollnarkose als auch mit einer Spinalanästhesie erfolgen. Es wird ein Instrument in die Harnröhre eingeführt, mit dem unter endoskopischer Sicht ein Einschnitt in die Engstelle gemacht wird, um diese zu weiten. Es wird angegeben, dass der Schnitt optimalerweise bis zum gesunden Gewebe reichen sollte, damit bei der Heilung keine zu starke Vernarbung eintritt und die Harnröhre erneut verengt. Nach dem Eingriff sollte der Patient für einige Tage einen Dauerkatheter bekommen.
Wie häufig gelingt die Urethrotomie?
Die Angaben zu Erfolgs- und Rezidivraten sind sehr unterschiedlich. Mal liest man davon, dass die Rückfallquote bei 70-100 Prozent liegt, andere berichten wiederum über Heilungsraten von 20-70 Prozent. Die unterschiedlichen Angaben beruhen zum einen darauf, dass die Erfolgsaussichten bei der Erstbehandlung oft als besser eingeschätzt werden, als es bei den Nachfolgebehandlungen der Fall ist. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass der Erfolg stark von der Ursache, Lage und Länge der Engstelle sowie von der Schnitttechnik des Chirurgen abhängt[1]. Zusammenfassend heißt es, dass die Prognose nach einer Urethrotomie langfristig sehr schlecht ist, da die Rezidivrate von 40 bis zu 80 Prozent – oder sogar deutlich mehr – als sehr hoch ausfällt.
Eine Studie aus dem Jahr 2010, die Patienten nach einer Urethrotomie untersuchte, stellte nämlich fest, dass die Erfolgsaussichten dieser Patienten noch erheblich geringer sind, als ursprünglich angenommen[2]. Dies war, ihren Angaben zufolge, die erste Studie zum Thema Urethrotomie in den USA, die in eben diesem Jahrzehnt durchgeführt wurde. Nachdem komplizierte Fälle aussortiert worden waren, hatten die Patienten nach der ersten Schlitzung lediglich eine Erfolgsrate von acht Prozent, nach der zweiten Schlitzung von sechs Prozent und nach der dritten Schlitzung von neun Prozent. Die beschwerdefreien Patienten wurden drei Jahre lang begleitet, so dass davon ausgegangen werden kann, dass einige von ihnen später einen Rückfall hatten. Bei weiteren Schlitzungen war die Rezidivrate stets 100 Prozent – das heißt jeder Patient hatte einen Rückfall. Abschließend folgern die Autoren, dass die Urethrotomie bestenfalls nur eine vorübergehende Lösung darstellen kann, da sie, wenn überhaupt, nur sehr geringfügige Heilungschancen verspricht.
Studienergebnisse und Praxis widersprechen sich
Die Frage, die sich also stellt, ist, warum die Urethrotomie überhaupt noch – und häufig mehr als einmal – durchgeführt wird. Es existieren zahlreiche Patientenberichte, die sich sehr oft einer Urethrotomie unterziehen lassen mussten. Schneidet man Narbengewebe auf, dann wird es erneut vernarben und diese Narbe wird tendenziell wulstiger und länger sein, als die vorherige. Die ursprüngliche Überlegung schien dahingehend zu sein, dass man bis zum gesunden Gewebe schneidet, damit sich die Narbe nicht noch verdickt. Jedoch weisen die Studien stark darauf hin, dass diese Therapie nicht den gewünschten Erfolg mit sich bringt und letztendlich in den meisten untersuchten Fällen zu einem Rückfall führt. Der Grund für die häufige Durchführung der Harnröhrenschlitzung liegt vermutlich darin, dass die meisten Urologen die Durchführung einer offenen Harnröhrenplastik auf Grund der Komplikationen im Mund vermeiden wollen und die Urethrotomie trotz der offensichtlichen Unwirksamkeit immer noch von den Krankenkassen erstattet wird. Möglicherweise wurde die Urethrotomie früher auch aus Mangel an Alternativen so häufig durchgeführt.
Wir wollen uns abschließend bei denjenigen bedanken, die bereits den Mut hatten, Kontakt mit uns aufzunehmen. Das Gespräch mit Patienten, die ihre echten Erfahrungen aus dem Leben schildern, helfen in solchen Fällen mehr als Fachtexte, vor allem dann, wenn Therapien nicht ausreichend durch wissenschaftliche Studien untersucht und überprüft worden sind oder die gängige Praxis stark von den gewonnenen Erkenntnissen und den daraus resultierenden Behandlungsempfehlungen abweicht. Wir verstehen gut, dass dieses Thema sehr persönlich ist und danken allen für ihren Mut, etwas an dieser unzufriedenstellenden Situation zu ändern. Wenn auch Sie Ihre Geschichte erzählen wollen, nehmen Sie gern mit uns Kontakt auf.
[1] Santucci, Richard und Mang L. Chen. „The Role of Urethrotomy and Other Minimally Invasive Interventions.“ In Atlas of Urethroplasty, edited by Rajesh Gulia: JP Medical Ltd, 2014.
[2] Santucci, Richard und Lauren Eisenberg. „Urethrotomy Has a Much Lower Success Rate Than Previously Reported.“ The Journal of Urology 183 (2010): 1859-62.