Die Leidensgeschichte meines Vaters dauert nun über 10 Jahre und bisher hat keine der Therapien langfristig Erfolg gezeigt und keiner der Ärzte, sei es ein niedergelassener Urologe oder ein sogenannter Experte auf diesem Gebiet, konnte meinem Vater wirklich helfen. Als ich von seinen jahrelangen Torturen erfuhr – damals litt er bereits seit Längerem an den Symptomen der Harnröhrenverengung (auch als Harnröhrenstriktur bekannt) – schaltete ich mich ein und fing an, eigene Recherchen zu dieser Krankheit und den angebotenen Therapien anzustellen. Das, was ich fand, brachte mich nicht nur zum Nachdenken, sondern weckte meinen Ehrgeiz als ausgebildete Pflegekraft, alles über dieses komplexe Thema zu erfahren. Ich las Studien, Berichte, Geschichten von Patienten und alles andere, was ich zu diesem Thema finden konnte.
Nur ein Fall von vielen
Aber nun zu meinem Vater. Ich glaube das erste Mal erzählte er zuerst meiner Mutter von seinen Schwierigkeiten beim Wasserlassen. Sie riet ihm, sofort zum Hausarzt zu gehen, aber er zog es so lange hinaus, bis die Schmerzen stärker wurden. Unser Hausarzt stellte einen Harnwegsinfekt fest und riet ihm aufgrund seiner langandauernden Beschwerden, sich auf jeden Fall beim Urologen vorzustellen. Mit den Antibiotika verheilte sein Harnwegsinfekt ziemlich schnell, aber die anderen Symptome blieben. Der Urologe, den mein Vater zuerst aufsuchte, schien ziemlich gründlich zu arbeiten. Immerhin machte er direkt mehrere Untersuchungen und sogar ein Röntgenbild, auf dem zu sehen war, dass seine Harnröhre an einer winzigen Stelle deutlich verengt war. Woher das kam, konnte er allerdings nicht sagen, weil die Ursache meist sowieso unbekannt sei. Das ist so zwar nicht ganz korrekt, aber mein Vater war insgesamt zufrieden, vor allem weil die Therapie, eine Harnröhrenbougierung, ziemlich bald Erfolge zeigte.
Bougierung – eine „Therapie“ ohne Heilungsaussichten?
Der Nachteil dabei war, dass sich die Beschwerden zwar für einige Monate oder fast ein Jahr besserten, aber dann immer wiederkamen. Als ich später einige Recherchen dazu anstellte, fand ich heraus, dass eine Bougierung der Harnröhre die Verengung immer nur zeitweise aufdehnen kann. Je häufiger diese Therapie angewendet wird, desto weniger Erfolg zeigt sie, weil der mechanische Reiz, den man auf die Harnröhrenwand ausübt, dazu führt, dass sich die Vernarbung weiter ausbreitet und die Engstelle länger wird. Mein Vater wurde bald als Dauerpatient bei seinem Urologen ungeduldig und fragte, ob es nicht eine dauerhafte Lösung für sein Problem gäbe. Der Urologe war sehr verständnisvoll und schlug ihm einen kleinen Eingriff vor: die sogenannte Urethrotomie oder Harnröhrenschlitzung.
Harnröhrenschlitzung – eine echte Alternative?
Dieser Eingriff wurde in der Klinik durchgeführt und war bei meinem Vater, wegen seiner Herzbeschwerden, mit einem stationärem Aufenthalt verbunden. Bei den Röntgen-Untersuchungen im Krankenhaus wurde darüber hinaus festgestellt, dass seine Verengung sich mittlerweile auf über drei Zentimeter ausgeweitet hatte! Der behandelnde Arzt im Krankenhaus vertraute meinem Vater an, dass es vermutlich die langjährigen Bougierungen waren, die zu einer stärkeren Vernarbung geführt hatten. Die nächsten zwei Jahre verliefen ziemlich ruhig, bis mein Vater merkte, dass sich die altbekannten Symptome wieder einmal meldeten. Diesmal wandte er sich direkt an die ambulante Sprechstunde des Krankenhauses. In den nächsten nicht einmal vier Jahren wurden weitere drei Schlitzungen durchgeführt.
Warum die Schlitzungen von vornherein ein Fehler waren
Zu diesem Zeitpunkt schaltete ich mich ein und fing an zu recherchieren. Was ich am allerwenigsten verstehen konnte, war Folgendes: der Erfolg einer Urethrotomie hängt stark davon ab, wo sich die Verengung befindet und wie ausgedehnt sie ist. Beides war bei meinem Vater von Anfang an nicht sehr günstig, weil die Verengung bereits zu diesem Zeitpunkt fast über drei Zentimeter lang war und relativ weit vorne lag. Gleichzeitig sinkt die Erfolgsrate nach einem Rezidiv praktisch auf null Prozent. Warum also wurde bei meinem Vater vier mal eine Behandlungsmethode angewandt, die schon beim ersten Mal schlechte Aussichten auf Erfolg hatte? Die Untersuchungsergebnisse, die wir ein halbes Jahr nach der letzten Schlitzung, in den Händen hielten, waren niederschmetternd. Die Engstelle hatte sich nunmehr auf über fünf Zentimeter ausgedehnt und statt einer Heilung – immer noch dieselben Beschwerden, nur schlimmer! Nun war ich bei meinen Recherchen mehrfach auf eine Operation gestoßen – die Harnröhrenplastik mit Mundschleimhauttransplantat.
Endlich eine Therapie mit einer hohen Erfolgsrate – und die Ernüchterung danach
Ich überredete meinen Vater, sich in einer Klinik vorzustellen, die meinen Recherchen nach hohe Fallzahlen mit dieser Art von Eingriff hatte und nicht allzu weit weg war. Nach dem Gespräch mit dem Spezialisten in der Klinik, bei dem ich anwesend war, waren mein Vater und ich begeistert über diese Möglichkeit. Die Heilungschancen sollten, den Angaben des behandelnden Arztes zufolge, ausgezeichnet sein und bei ca. 95 Prozent liegen. Der Arzt war kompetent und schien vom Erfolg der Therapie überzeugt. Die Entscheidung zu diesem Eingriff war für meinen Vater trotz der angeblich vielversprechenden Erfolgschancen nach den vielen Vorbehandlungen nicht einfach. Dennoch, eine andere Chance sahen wir alle nicht und kurze Zeit später hatten wir einen Operationstermin. Was ich im Nachhinein vollkommen unverständlich finde, ist die Tatsache, dass bei der Aufklärung zwar viel über die Operation an der Harnröhre gesprochen wurde, aber kaum erwähnt wurde, was eigentlich im Mund passiert. Uns war zu dem Zeitpunkt gar nicht klar, dass ein Urologe ohne besondere Spezialisierung auf Eingriffe im Mundbereich eine umfangreiche Gewebeentnahme im Mund vornehmen würde. Es wurden immerhin mehrere Zentimeter Mundschleimhaut als Transplantat benötigt! Jeder weiß, wie weh schon die kleinste Wunde im Mund tut und nun stelle man sich eine über fünf Zentimeter lange Wunde vor. Leider waren wir bei der Aufklärung so beschäftigt mit der Harnröhrenproblematik, dass wir nicht einmal nachgefragt haben. Dennoch sehe ich es eindeutig als die Pflicht des operierenden Arztes an, dass er uns umfassend über die Folgen und Nachwirkungen des Eingriffs aufklärt.
Die Zeit nach der großen Operation
Bei meinem Vater wurde nun eine Harnröhrenplastik mit Mundschleimhaut durchgeführt. Nach nur fünf Tagen wurde er mit einem Katheter nach Hause entlassen. Dieser wurde dann nach weiteren zweieinhalb Wochen in der Klinik rausgezogen. Zu Hause erholte sich mein Vater nur langsam von der OP. Es war schwer, ihn so leiden zu sehen und ich hoffte, dass dieses Leiden nun wenigstens ein für allemal ein Ende haben würde, da die Heilungschancen ja angeblich so hervorragend waren. Seine Mundschleimhaut auf der Wangeninnenseite vernarbte nur langsam und wurde dann taub. Er konnte den Mund nicht richtig aufmachen. Zudem konnte er lange kein richtiges Essen zu sich nehmen und war insgesamt nur „ein halber Mensch“. Umso schlimmer traf ihn die Erkenntnis, dass nach etwa eineinhalb Jahren wieder eine Verschlechterung der Harnröhrenfunktion eintrat. Er sagte uns lange nichts davon, bis nach etwa drei Jahren nach der Operation alle Symptome wieder da waren. Als ich ihm Vorwürfe machen wollte, dass er nicht früher wieder zum Arzt gegangen war, sah er mich an und sagte: „Bevor ich mir diese Quälerei noch einmal antue, laufe ich lieber mein Leben lang mit einem Katheter herum.“
Fazit aus einer langen Leidensgeschichte
Das ist die lange und beklemmende Geschichte meines Vaters, mit der er wohl nicht alleine dasteht. Ich habe viele ähnliche Berichte von Patienten im Internet gelesen, denen es ebenso ergangen ist, die nicht ausreichend aufgeklärt wurden und anschließend mit ihrem Problem allein gelassen wurden. Zusätzlich zu ihrer Harnröhrensymptomatik kamen durch die Mundschleimhautplastik noch die Probleme im Mund hinzu, was die Lebensqualität insgesamt deutlich verschlechtert hat. Bei meinen Recherchen bekam ich immer wieder den Eindruck, dass die momentane Vorgehensweise bei der Behandlung teilweise auf Falschaussagen basiert, wo Nebenwirkungen und Komplikationen verschwiegen oder beschönigt werden, Erfolgsaussichten unrealistisch hoch dargestellt werden und sinnvolle Alternativen gar nicht erst aufgezeigt werden.